Mittwoch, 1. April 2015

Der blaue Stuhl

Ich treffe das Kind am siebten Februar 2015.
Seit unserem letzten gemeinsamen Nachmittag sind zwei Jahre, drei Monate und vierzehn Tage vergangen.
Als ich das Haus betrete, steht er dort im roten Pullover. Aus seinen Augen blitzt Freude, die noch nicht in eine Bewegung des Körpers überspringt.
Ich gehe auf ihn zu und beuge mich nieder. "Man kann einen Stuhl in einen Helikopter verwandeln", sagt er, und ich antworte: "... sagte Herr Schwärzlich."
Wir hatten das Buch "Der blaue Stuhl", aus dem dieses Zitat stammt, oft miteinander gelesen.
Er weiß also noch.
Später im Garten klettert er auf einen Berg aus Schnee, der dort geschoben liegt.
Es braucht ein paar Versuche, bis er auf dem kleinen Gipfel steht. "Ich hab's geschafft!" Mit leiser Stimme sagt er das; kein Triumphgeschrei.
Im Zimmer lassen wir Autos sausen. Wie Gedanken flitzen sie wortlos zwischen uns hin und her. "Ich bin froh, dass du da bist", sagt er, auch wieder mit dieser leisen Stimme, die ganz von innen kommt.
"Kann ich dich besuchen? Kann ich bei dir übernachten?"
Er setzt sich auf meinen Schoß, den Rücken zu mir gewendet. Diese Nähe geht. Sie fällt ihm leichter als eine Umarmung.
"Wann kommst du wieder? Morgen? Nächstes Wochenende?"








14 Kommentare:

  1. Das geht so zu Herzen. - Ob L. annähernd versteht, warum so eine lange Pause dazwischen war? Oder darfst du ihm da nichts erzählen?
    Ganz liebe Grüße von mir

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    1. Auf seine Fragen gebe ich ihm Anwort.
      Er hatte ja schon damals mit viereinhalb Jahren erlebt und verstanden, dass es Menschen gab, die ihm seine über vier Jahre gewachsenen Bindungen an uns nicht zugestehen wollten.

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  2. Es tut weh sich ins Kind einzufühlen ....
    Darf er wieder laut werden, sich sicher in den Armen fühlen .... ? Wo sind die Menschen, die das Sagen haben und dem allen endlich ein Ende bereiten!
    liebe Grüsse
    Elisabeth

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  3. Das Kind muss das Sagen haben, es muss gehört werden.
    Leider hat L. nie Gehör gefunden ....

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  4. Vielen Dank fürs Teilen.

    Ich lese hier nun schon eine ganze Weile still mit,
    und es hat mich richtig glücklich gemacht,
    wie es hier seit einigen Wochen auf einmal heller wurde.

    Ich wünsche alles alles Gute dem Herzbaumkind und den Herzbaummamas,
    Margrit OW

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  5. Ich kann gar nicht viel sagen. ich lese immer mit, versuche zwischen den Zeilen zu lesen, ich bin da nicht gut drin. Hoffe dass das was ich daraus verstehe wahr ist und hoffe aus tiefstem Herzen für L. das er wieder bei euch sein kann und die Wunden in seinem und auch Euren Herzen und Seelen heilen können. Alles Gute für Euch !

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    1. Du hast recht: Zwischen den Zeilen steht vieles, was nicht da steht. Noch nicht. Kommt.

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  6. Liebe Stefanie,
    ich lese erst heute hier und trage nun eine Gänsehaut durch diesen Ostermontag.
    Gestern in der Osternacht habe ich mit unserem Chor gesungen "Ein Licht in dir geborgen" (kennst du den Text?) und nun darf ich erfahren, die Hoffnung, dass da noch euer Licht war im Kind, hat sich bewahrheitet.
    Welch echte Osterfreude. Danke!
    Claudiagruß

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    1. Das Licht ist da.
      Nun sind die Menschen um das Kind gefragt.
      Erlauben sie ihm zu leuchten?

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