Sonntag, 25. November 2012

schmerzlich


Unser Pflegekind kam zu uns, als es acht Monate alt war.
Das war im November 2008.
L. hatte bis dahin sein Leben in vier verschiedenen Krankenhäusern verbracht. Er war noch sehr krank, als er zu uns kam, und die Prognose war ungewiss.
L. hat eine kontinuierlich positive Entwicklung genommen und mit großer Freude sein gesundendes Leben ergriffen.
Wir wollten und wollen, dass er in dieser ihn fördernden Kontinuität verbleiben kann, die getragen ist von der liebevollen Beziehung und Bindung zwischen L. und uns.

Denn:
„Kinder lassen sich auf keine Experimente mehr ein. Ihre Lebensnarben haben sie geprägt. Man sollte sich deutlich machen, dass die meisten Erwachsenen in ihrem gesamten Leben niemals so viel Leid erfahren, wie es manches Kind bereits in seinen ersten Lebensmonaten oder -jahren erlebt hat! Gelingt es nicht, frühkindliche Traumata zu verarbeiten, ist ein normales Erwachsenenleben nicht möglich.“ (Vgl. Irmela Wiemann: Zusammenleben mit seelisch verletzten Kindern)

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Denn:
„Kinder mit Lebensgeschichten, die von körperlicher Überwältigung, seelischen Verletzungen und existenziellen Lebensängsten gezeichnet sind, haben ein Recht auf Schutz auch ihrer psychischen Nachholbedürfnisse. Sie sind in Umgangsstreitigkeiten durch ihre strukturell bedingte Unterlegenheit darauf angewiesen, dass ihr Wohlergehen und ihr Wille eine dem Umgangsrecht der leiblichen Eltern grundsätzlich übergeordnete Rolle spielt.“(Vgl. auch Irmela Wiemann: Zusammenleben mit seelisch verletzten Kindern)

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Denn:
„Aber auch in den Jugendämtern sind nicht alle Fachkräfte ausreichend ausgebildet. Viele Fachkräfte wissen nicht, wie wichtig der Aufbau und der Erhalt der Bindungen für ein Kind sind. In letzter Zeit haben zum Beispiel viele neue Träger die Betreuung von Pflegeeltern und Bereitschaftspflegeeltern übernommen, deren Mitarbeitern es an grundlegendem Fachwissen zum Thema Pflegekinder fehlt. Immer wieder trifft man auf „Fachleute“ die abenteuerliche Vorstellungen zu Bindungen haben.“ (Claudia Marquardt, Fachanwältin Familienrecht, Köln)

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Denn:
Konzepte zur Realisierung der Rückkehroption haben sich stets am kindlichen Zeitbegriff zu orientieren.
Von Goldstein/Freud/Solnit sind dazu Maximalzeiten vorgeschlagen worden, nach deren Ablauf die Annahme unvernünftig wäre, dass die verbliebenen Bindungen eines Kindes an seine abwesenden Eltern wichtiger wären als jene Bindungen, die sich zwischen ihm und seinen langzeitigen Betreuungspersonen entwickelt haben und zwar:
12 Monate bei einem Kind, das zum Zeitpunkt der Unterbringung bis zu drei Jahre alt war ...

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Denn:
In einer Anmerkung zur Entscheidung des BGH vom 26.09.2007 - XII ZB 229/06 - nimmt Prof. Dr. Gisela Zenz Stellung zu der Erwartung, eine tragfähige Beziehung durch Umgangsausweitung aufzubauen, um einen Wechsel hierdurch zu ermöglichen, wie folgt:
"Diese Erwartungen widersprechen nicht nur allen Erkenntnissen der Bindungsforschung, sondern ignorieren auch die existentielle Bedeutung einer sicheren Bindung sowie die unstreitig dramatischen Konsequenzen ihrer Zerstörung, die als Risiken bis in Erwachsenenleben in Form von Störungen der Bindungsfähigkeit zu Partnern und eigenen Kindern nachweisbar ist. Ebenso unverständlich ist es, wenn die Angst eines Kindes vor dem Verlust seiner Familie schlicht für manipuliert und also auch umgekehrt manipulierbar erklärt wird (Zenz, FamRZ 2007, S. 2060 bis 2063).

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Denn:
Ebenso legen die Professoren Zenz und Schwaab im Gutachten zum 54. Deutschen Juristentag dar, "...dass Versuche von Rückgliederungen von Kindern als illusionäre, gefährliche und grausame Experimente bezeichnet werden müssen, die jeder wissenschaftlichen und praktischen Grundlage entbehren".

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Warum all dies für L. nicht zutreffen soll und durch die abrupte Herausnahme einmal mehr missachtet wurde, erfüllt uns mit großem Schmerz.




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